Mit sieben Mark in der Tasche nach Mühlhausen


Startseite · Tagebuch · Teil 1



Von der Hoffnung auf Arbeit immer wieder getrieben - Matthä Hofmann erzählt

Die liebevollen Idyllen der ehemaligen freien Reichsstadt, von denen Matthä Hofmann (1866 bis 1929) so viele in seinem unermüdlichen Schaffensdrang gemalt hat, sind seit den Tagen, als Artur Rusch aus Sylvenstal den Nachlaß dieses Pfullendorfer Malers in den Blickpunkt einer breiten Öffentlichkeit gerückt hat, wieder überall in dessen Geburtsstadt anzutreffen. Neben diesen idealisierenten Darstellungen seiner Heimat hat Matthä Hofmann seiner Nachwelt auch einiges an schriftlichen Aufzeichnungen aus seiner Zeit hinterlassen. Darunter befindet sich eine 36seitige Kladde, fein säuberlich in Sütterlinschrift geschrieben, die von seinen Wanderjahren quer durch Europa erzählt. Diese bislang unveröffentlichten Tagebuchblätter hat für den Südkurier einmal Hellmuth Böttinger zusammengestellt und überarbeitet. Der Südkurier wird dieses zeitgeschichtlich interessante Dokument ab heute in loser Folge veröffentlichen.

Matthä Hofmann, am 12. September 1866 als Sohn des Kiesgrubenarbeiters Georg Hofmann und Rosa Reichle aus Neufrach geboren, machte sich nach diesen Aufzeichnungen als knapp Zwanzigjähriger auf eine ungewisse Reise auf, mehr aus der Not geboren, einen Arbeitsplatz zu finden, denn aus Abenteuerlust. Wie wetterwendisch das Schicksal mit ihm dabei zuweilen umsprang zeigten die folgenden Zeilen:


"Am 29. Oktober 1885 fand ich Arbeit in Freiburg Breisgau im dortigen Erbprinzlichen Palais, das zu der Zeit einer gründlichen Reparatur unterzogen wurde. Doch endigte leider für uns Maler diese Arbeit schon am 20. Dezember wieder, denn bis dahin mußte sie beendigt sein. Hier begannen die Einzugsfeierlichkeiten zur Hochzeit des Erbgroßherzogs Friedrich. Täglich großartige Festlichkeiten! Illumination, und so weiter und als besondere Attraktion aber lief am Unteren Lindenplatz der dort befindliche vierröhrige laufende Brunnen je eine Stunde lang des Tages mit Wein und so drei Tage. Nun winkte aber für die meisten meiner Gesellen der Wanderstab. Zu meinem Leidwesen entdeckte ich noch vor meiner Abreise, daß mir in meinem Zimmer noch mein erspartes Geld, sowie die Taschenuhr gestohlen wurde.
Ich wendete mich nun wieder nach Mühlhausen im Elsaß, wo ich den großen Teil des Sommers über in Arbeit stand, doch ohne dort wieder Arbeit zu finden. Daher blieb mir also nur der Wanderstab. Ich setzte meine Hoffnung auf Baden-Baden. Ich schnürte nun den Berliner und mit sieben Mark in der Tasche begab ich mich zu Fuß von Mühlhausen am 14. Januar 1886 auf die Wanderschaft über Buzweiler, Isenheim, Ruffach nach Colmar, hier übernachtete ich im goldenen Lamm (40 Pfennig).
Am 15. Januar fort über Ostheim. Hier ist mir zum ersten Mal Heil widerfahren. Es rief mir eine mitleidige Bahnwartsfrau ob ich nicht ein Mittagessen wolle, es war dieses reichlich und sie gab noch Mundvorrat auf den Weg. Nun weiter durch tiefen Schnee über Gemar nach Schlettstat (bei Apfel). Am 16. Januar fort über Matzenheim Beimersheim, hier per Bahn nach Straßburg. Hier blieb ich zwei Tage, besichtigte Verschiedenes, aber auf Arbeit nicht zu hoffen. Die Fußwanderung geht nun weiter am 18. Januar über Kehl, Mannprechtshofen. Hier Übernachtung. Am 19. Januar fort über Lichtenau nach Baden-Baden. Hier bei Ankunft Aussichten auf Arbeit, doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht, da über Nacht viel Schnee gefallen war und es mächtig kalt war. Überall wurde auf besseres Wetter getröstet. Nun war ich also wieder gezwungen, weiter zu marschieren. Nachdem ich am Hirschbrunnen von der warmen Quelle zum Frühstück getrunken, ging's am 20. Januar über Rastatt nach Karlsruhe (übernachtet "Zum grünen Baum"). Das Wetter wurde immer schlechter, daher dieselben Vertröstungen wie in Baden-Baden. Ich blieb zwei Tage hier. Die Aussichten waren trübe, auch der Geldbeutel wurde immer leerer, trotzdem es an Übernachtungsorten etwas Verpflegung gab! Am 22. Januar ging es weiter über Durlach, Bretten (übernachtet in "Blauen Traube"). Am 23. Januar ab Eppingen in Gemmingen übernachtet. Am 24. Januar marschierte ich über Schweigern nach Heilbronn am Neckar. Hier gab es Verpflegung in der Heimat; aber diese spottete aller Beschreibung! Am 25. Januar lief ich weiter über Neckarsulm, Jagstfeld nach Gundelsheim, im "Prinz Karl" übernachtet. Am 26. Januar trieb es mich über Moosbach, Oberschaffberg, Adelsheim, Osterburken nach Bäroldsheim, hier in der "Krone" übernachtet. Dann ging es über Boxberg, Schweigern, Königshofen, Tauberbischofsheim, Großriederfeld. Übernachtung "Grüner Baum", von hier nach Würzburg, wo ich im Matrosen loschierte, einer elenden Kneipe. Hier fing nun für mich das Trauern an. Der Geldbeutel leer, keine Hoffnung bestand auf Arbeit, überall nur verschlossene Türen, das Fechten hatte ich bisher noch nicht geübt und gelernt! Am zweiten Tag meines Hierseins rannen mir die Tränen an den Backen herunter vor Hunger! Ich wollte daher meine Taschenuhr versetzen, doch der Betreffende machte mir nur ein schändliches Angebot. Trotz Hunger erwachte der Trotz in mir und ich behielt die Uhr, dies während der ganzen Reise."

© Südkurier, 1982

Anmerkung: fechten = betteln


© Bernd Pohl, 17.02.2007