Oft frierend und mit knurrendem Magen zu Bett


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Das Wetter und die kalten Herzen der Mitmenschen setzten Matthä Hofmann arg zu

Unter welch harten Bedingungen ein Handwerksbursche im Winter des Jahres 1886 regelrecht um Arbeit und Brot betteln mußte, erzählt Matthä Hofmann (der Nachwelt in seiner Pfullendorfer Heimatstadt bekannt als Maler liebevoller Idylle) in seinem Handwerksbuch. Noch drastischer als in der ersten Folge (der bislang unveröffentlichten Blätter), die der Südkurier in loser Serie veröffentlicht, erging es dem Handwerksgesellen auf seinem Weg durch Bayern.

Am 31. Januar zog ich nun hungernd und frierend vom schönen Würzburg wieder ab. Im nächsten Ort aber faßte ich Mut, um mir den Hunger zu stillen, zu fechten! Das erste Haus an der Straße war dazu auserkoren, den Anfang damit zu machen; etwa 20 Schritte war ich davon entfernt, da trat der Polizeidiener aus dessen Türe, zum Glück schaute er auf die entgegene Seite, so daß er mich nicht die Straße herunterkommen sah. Ich aber schlüpfte, so schnell ich konnte, durch die Türe ins Haus! Darob gab es im Haus allgemeines Gelächter! Dieses trug mir doch ein Stückchen Brot ein. Im ganzen Ort kamen noch einige Stückchen zusammen, so daß ich den Hunger damit etwas stillen konnte. Nun fing es aber an, Abend zu werden, und mir fehlte noch das Schlafgeld. Um dazu Verpflegungsgeld zu bekommen - es trafen hier noch zwei Wandergesellen zu mir - mußten wir noch etwa zwei Stunden weit marschieren durch fußtiefen Schnee. Der Ort lag von der Straße ab, so mußten wir bei dunkler Nacht auf den Wegweiser achten, dann davon den Schnee abwischen, um die Schrift lesen zu können. So gelangten wir nach Buchbrunn, die erhaltenen 15 Pfennig reichten nicht ganz zum Schlafen, also ging es wieder hungrig zu Bett. Dies ebenso am 1. Februar wieder fort über Dettelbach. Im dortigen Männerkloster bekamen wir zu Mittag, wo viele zusammenkamen. Es gab eine Art Stockfischsuppe umsonst, aber keine Löffel dazu. Wir mußten uns also auf andere Art helfen. Dann gelangten wir an den Main. Hier mußten wir uns mittels der Fähre übersetzen lassen, was mein ganzes Vermögen, und zwar zwei Pfennig, kostete. Ich erreichte Volkach a. M., übernachtete gut im "Löwen" durch Naturalverpflegung. Am 2. Februar ging es fort über Geroldshofen, Prinzensenstatt nach Wiesentheit, wo im "Weißen Roß" übernachtet wurde. Dann zog ich wieder weiter über Geißelheid, Schlüsselfeld, Mühlhausen, Steppach und Ferndorf nach Bamberg.
Hier suchte ich mit einem Reisekollegen, der hier stadtkundig war, Unterkunft in der Bäckerherberge. Doch hier hielten denselben Abend die Bäckergehilfen der Stadt einen Ball ab, somit wurde aus unserem Vorhaben nichts. Überall hingen derer Überzieher an den Wänden umher. Da kam's diesem "Stadtkundigen" an, mich dazu aufzumuntern, einen der Überzieher anzuziehen, er wolle mir dann schon zum Geld machen helfen. Ebenso wollte er meine Uhr zu gutem Preis versetzen oder verkaufen, was beides natürlich von mir kräftig abgeschlagen wurde! Ich trennte mich darob von dem alten Gauner.
Inzwischen wurde es aber Nacht und ich mußte mich beeilen, eine andere Unterkunft zu suchen. In einer anderen Herberge ging es mir zu toll und zu unsauber her. Ich stand also wieder hungernd und durchfroren auf der Straße und fragte immer wieder nach einer anderen Unterkunftsmöglichkeit, bis ich durch gar gutherzige Männer zum Gasthaus "Steigerwald" gewiesen wurde. Endlich eine gute Unterkunft. Nun aber lief ich mir die Füße fast wund, um nach Arbeit zu schauen. Das Ergebnis aber war trostlos. Bei eingetretenem Tauwetter machten sich die nassen Füße immer mehr ganz unliebsam bemerkbar. Die tropfnassen Socken wurden vor dem Schlafen gehen immer zuerst ausgewunden, dann ins Bett genommen und darauf gelegen, um sie wieder trocken zu bekommen. Danach waren sie am Morgen meistens gefroren, wie auch gewöhnlich die nassen Hosen und Schuhwerk. Was half's, ich mußte wieder fort und weiterziehen! Durch meine bisher angelernte Fechtkunst wurde wenigstens die Magenfrage seit Würzburg her so an manchen Tagen zufrieden stellend gelöst. Meinem fernen Ziele Leipzig zustrebend, kam ich über Scheßlitz, Rasendorf nach der Bierstadt Kulmbach.
Hier im Gasthaus bei Witwe Hoffmann fand ich Quartier, aber keine Arbeit. Ohne am anderen Morgen einen Bissen Brot und bei heftigem Schneegestöber und tiefem Schnee zog ich am 7. Februar fort über Neumark, wo es fünf Pfennig Ortsgeschenk gab. Für diese paar Pfennig bekam ich aber einen desto größeren Stempel ins Arbeitsbuch. Dann wanderte ich nach Stammbach (im "Hirschen"). Von hier ging's fort über Münchberg. Hier hieß es, daß es Ortsgeschenk gäbe. Dies werde im Rathaus ausgegeben. Ich kam um 1/2 12 Uhr dahin, da empfing mich der alte dicke Ratsdiener brummend, dem man's aber an seiner Nase ansehen konnte, welches seine Hauptbeschäftigung war. Nun fand ich endlich das Zimmer des Polizeigewaltigen, von dem ich die Abgabe des Geschenkes erhoffte. Bis Schlag 12 Uhr ließ er mich mit meinem knurrenden Magen stehen, hängte sich seinen Mantel um und hieß mich um 2 Uhr wieder zu kommen. In meinem Innern begleiteten ihn verschiedene fromme Wünsche.
Ich zog von dieser ungastlichen Stätte verbittert ab, im letzten Haus aber sah ich, daß hier geschlachtet wurde und für gute Worte bekam ich doch einen Teller Suppe verabreicht. Der Appetit war aber damit gereizt. Im nächsten Dorf im ersten Haus, beim Ortsvorsteher, wollte ich wieder um etwas Essen anhalten, doch beim Öffnen der Tür verstellte die Frau mir den Weg mit dem Bemerken "Der Gendarm ist da". Schnell entschlossen fuhr ich zurück. Doch der Gendarm rief mir ein "Halt" zu. Es gab nirgends einen Fluchtweg . Daher folgte ich seiner "Einladung". Er war aber vernünftig und frug mich nur nach meinem Woher, Wohin und was ich hier tun wollte. Nachdem bettelte er bei der Frau für mich um etwas Brot, bekam davon ein ansehnliches Stück. So marschierte ich nun wieder besser gelaunt meinem nächsten Ziel Hof an der Saale entgegen. Dort gab es 20 Pfennig Stadtgeschenk. Ich fand auch gute Unterkunft bei einem Schmied. Nun hatte ich Nord-Bayern von West nach Ost auf Schusters Rappen durchquert. Im ganzen genommen ging's so leidlich, nur im Fichtelgebirge waren die Märsche etwas beschwerlich bei tiefem Schnee. Auch der Magen hatte oft harte Probleme zu bestehen! Auch oft lernte ich der Menschen kaltes Herz kennen. Ein alter Fechtbruder konnte immer Mitleid erwarten mit seinem falschen Getue. Er kam immer besser davon als wir jungen ehrlichen Handwerksgesellen!"

© Südkurier, 1982

Anmerkung: fechten = betteln


© Bernd Pohl, 17.02.2007