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Matthä Hofmann auf dem Weg nach Sachsen ausgezehrt und oft dem
Umfallen nahe
Es ist heute kaum mehr vorstellbar, was der Pfullendorfer Matthä
Hofmann als Malergeselle auf seiner Wanderschaft zu Beginn des Jahres 1886
durchmachen mußte. Tagelang bekam er keinen Happen zu essen und in
vielen Nächten mußte er sich in schäbigen Quartieren
herumplagen, die den oftmals total Erschöpften ebenso wenig wieder zu
kräften kommen ließen. Sein Weg, der ihn bei Nässe,
Kälte und Schnee nach Sachsen führte, wurde somit zu einer
Tortur. Arbeit zu finden erwies sich in dieser Zeit als schier
unmöglich, so daß Matthä Hofmann oft genug gezwungen war,
um einen Bissen Brot zu betteln. Niedergelegt hat der Pfullendorfer
Malergeselle all diese Erlebnisse in einem Tagebuch, dessen bislang
unveröffentlichte Blätter Helmuth Böttinger
überarbeitet hat und der Südkurier nun in einer losen Folge
seinen Lesern als ein zeitgeschichtliches Dokument vorstellen
möchte.
"Anderntags gings über die sächsische Grenze über
Großzöbern nach Plauen im Vogtland (Herberge bei Oskar). Arbeit
zu bekommen, wurde immer aussichtsloser. Wieder ging es fort über
Elsterberg und am 11. Februar weiter über Greiz, Bergau (Gerold) dann
Weida, nach Gera. Für das Verpflegungsgeschenk mußte gar
Stunden gearbeitet werden. Dann kam ich nach Keitz und von dort nach
Sachsen-Altenburg. Überhaupt, in dieser Gegend konnte man alle Tage
in verschiedene Länder kommen, so nach Meiselwitz, wo es als
Ortsgeschenk ein winzig dünnes Butterbrot gab, dafür aber einen
großen Stempel in die Ausweispapiere und auf Befragen nach dem
nächsten Reiseziel auch zugleich die Karte zum Ortsgeschenk, in
meinem Falle nach Altenburg. Ich verfehlte aber den Weg dahin und kam ins
preußische Städtchen Lucka. Herberge fand ich bei Witwe
Hofmann, einer elenden Penne, wo ich für 10 Pfennig zum ersten Male
auf einer Bank schlafen mußte, weil ich den Betten kein Zutrauen
schenkte! Am andern Morgen, bei naßkaltem Wetter, an allen Gliedern
wie zerschlagen, nicht geschlafen und bei leerem Magen in tiefem Schnee,
sowie naß in den allmählich defekt werdenden Schuhen
quälte ich mich dem heutigen Ziele Leipzig entgegen, dabei einsehend,
daß je weiter nach Norden je trostloser für mich! Denn hier
mußte man den Leibriemen alle Tage fester anziehen.
So kam ich im Altenburgischen an einem schönen Herrschaftsgut vorbei.
Es war etwa ein Uhr Mittags, mein Magen hatte den Vormittag noch keinen
Bissen bekommen, daher fühlte ich mich schwach bis zum Umfallen. Ich
wollte hier also mein Glück versuchen, um für den leeren Magen
etwas zu bekommen. Beim Näherkommen erblickte ich eine große
Anzahl Schlitten im Hof stehend und im Haus waren eine große Anzahl
fürstlich gekleideter Gäste versammelt und mit Essen und Trinken
beschäftigt in lustiger Stimmung. Ich drückte mich im Hausflur
schüchtern hinter die Türe neben der Küche, wo es angenehm
duftete und ich voller Hoffnung um ein Stück Brot oder etwas zu essen
bat. Aber anstatt diesem gab man mir schroff die Antwort: "Wir dürfen
nischt geben, sonst werden wir bestraft!" So zog ich eben wieder hungrig
und elend der Straße entlang. In den nächsten Stunden kamen
dieselben Fuhrwerke und Schlitten, voll besetzt mit lustiger Gesellschaft,
hinter mir her der Heimat zu und bewarfen am vorbeifahren mich armen
Handwerksburschen mit Schokolatpapier, leeren Weinflaschen u. s. w. Dies
gab mir aber einen Stachel ins Herz, der mir bleibend war!
Endlich kam ich an mein Ziel nach Leipzig, wo ich sicher hoffte, Arbeit zu
finden. Aber mit dieser Hoffnung war wieder nichts, obwohl ich drei Tage
lang umeinander lief und suchte; aber überall war ich zu früh
oder zu spät! Als Meistergeschenk brachte ich auch nur im Ganzen 22
Pfennig zusammen. Als Stadtgeschenk gab es hier 50 Pfennig. Ich konnte
also meinen ärgsten Hunger stillen und übernachtete in der
Herberge zur Heimat. Am zweiten und dritten Tag aber mußte ich
mangels an Schlafgeld im Asyl für Obdachlose schlafen, auf
Drahtmatratzen im überheizten Saal, wo ich ohne Schlaf die
Nächte zubrachte. Am frühen Morgen noch bei Nacht mußte
man das Haus verlassen, so verbrachte man noch die Stunde bis es Tag wurde
in Haustürnischen, um vor den Unbilden des Wetters geschützt zu
sein um dann hoffnungslos die Schaufenster der Lebensmittelgeschäfte
anzustaunen!
Voller Leid mußte ich wieder von hier abziehen. Am 17. Februar
wanderte ich auf der Drestenerstraße hinaus, und kam durch die
Vorstadt Lindenau, wo es eine halbe Mark Stadtgeschenk gab, das aber nur
für solche bestimmt war, die nach Leipzig zogen; aber dafür dort
nichts mehr bekamen. Dieses Geschenk wurde auf der Polizeiwache
verabfolgt. Bei meiner Hinkunft sah ich durch das Fenster, wie ein Kunde
auf doppelte Ausweispapiere in seinen Kleidern untersucht wurde, daher
versteckte ich mein Arbeitsbuch, in dem der Geschenkstempel von Leipzig zu
finden gewesen wäre, im Ablaufrohr der Dachrinne vor dem Haus und gab
dafür den Heimatschein ab und erhielt daher das Geschenk.
Abends kam ich in das Städtchen Wurzen. Anderntags zog ich wieder
weiter meinem Ziel Dresden entgegen, wo ich das Hungern erst recht
verspüren sollte. Zunächst kam ich über Oschatz, wo
übernachtet wurde, nach Riesa an der Elbe (hier wieder
übernachtend, gab's auch ein kleines Ortsgeschenk). Anderntags in
Meißen fand ich gute Herberge. Von hier aus wurde die Gegend wieder
interessanter bei anstrengendem Marsch nach Dresden. Meine Hoffnungen
erwiesen sich wieder wie in Leipzig als trügerisch. Eine Nacht
erlebte ich auf der Herberge zur Heimat, die zwei folgenden wieder im Asyl
für Obdachlose, auch hier unter gleichen Verhältnissen wie in
Leipzig, doch gab es eine Art Suppe zu essen, dafür aber durch einen
evangelischen Geistlichen eine Predigt.
Nun fing es nun auch an mit meinen Füßen zu happern, ebenso mit
den Schuhen, dies seit Überschreiten der bayerischen Grenze immer
wieder mit leerem Magen. Die gelegentlich mitreisenden Collegen entpuppten
sich hier im Norden immer mehr als windige Brüder, denn besonders
hier wie auf allen großen Herbergen beschäftigten sie sich mit
Bettelbriefeschreiben u. s. w. Auch in Sachsen blühte besonders auch
unter den "duften Kunden" der Handel mit dem "Grünen" (das ist der
Zwangspaß). Auch fanden sich unter den vielen Arbeitssuchenden
solche, die ihr auszuweichen suchten. Daher hatte ein ehrlicher Bursch
viel zu leiden. Ich nahm mir deshalb vor, vom schönen Sachsen bald
wieder zu scheiden."
© Südkurier, 1982
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