... doch Furchen grub die schwere Zeit


Startseite · Tagebuch · Teil 5



Eine Interpretation der Tagebuchblätter von Matthä Hofmann

An dieser Stelle hat der SÜDKURIER in vier Folgen die bisher unveröffentlichten Tagebuchnotizen des Pfullendorfer Malers Matthä Hofmann wiedergegeben. Der Leser konnte dabei einen tiefen Blick in soziale Verhältnisse um die Jahrhundertwende tun. In einfacher Sprache waren eindringliche Erlebnisse festgehalten worden. Dies alleine für sich stehen zu lassen, wäre nur halb der Chronistenpflicht nachgekommen. Walter Rusch, dem das Verdienst gebührt, diese Gestalt aus der jüngsten Pfullendorfer Geschichte durch das Zusammentragen seiner Werke wieder in Erinnerung gebracht zu haben, und dem ebenfalls zu danken ist, daß diese Tagebuchblätter ans Licht der Öffentlichkeit geholt werden konnten, hat daher zum Schluß dieser Serie eine Interpretation des Hoffmannschen Tagebuches versucht.

"Nur noch wenige Mitbürger unserer Stadt werden sich an die große, hagere Gestalt von Matthä Hofmann erinnern, der vor nahezu 60 Jahren verstorben ist. Doch in mindestens 50 Haushaltungen Pfullendorfer Bürger haben seine "Pfullendorfer Ansichten" einen ehrenvollen, manchmal sogar liebevollen Platz gefunden. Ungezählt sind die Reproduktionen seiner Bilder, die auch von Neuzugezogenen im eigenen Heim als Wandschmuck verwendet werden. Sie dürfen ohne weiteres als ein Bezug zur Heimat, zum hier und zum Gewesenen betrachtet werden. Ob es sich um eine Verherrlichung der Vergangenheit handelt, sei dahingestellt, man ist sowieso im Allgemeinen dazu geneigt, in erster Linie die angenehmen Seiten des Gewesenen zu sehen. Jedenfalls ist eine Beschäftigung mit der Vergangenheit festzustellen. Dieses Anliegen von Teilen der Bevölkerung unterstützt die Herausgabe von Matthä Hofmanns "Tagebuch meiner Wanderschaft" im SÜDKURIER.
Das vorliegende - einem alten Schulheft gleichenden - "Tagebuch meiner Wanderschaft" ist handschriftlich in Sütterlinschrift ausgeführt. Der erste und größere Teil ist in flüssiger, souveräner Weise geschrieben, während der zweite Teil zwar inhaltlich noch Kontinuität aufweist, das Schriftbild jedoch schon instabil erscheint. Das Tagebuch wurde also nachträglich in zwei Phasen geschrieben. Vermutlich hatte er stichwortartig seine Eindrücke während seiner Wanderschaft notiert, was auch einige inhaltliche Fehler in der Niederschrift erklären würde.
Wenn man den Weg seiner Wanderschaft verfolgt, erkennt man eindeutig das Ziel: Dresden oder Leipzig. Diese Städte beherbergten damals kulturelle Zentren Deutschlands, und wer sich auf diesem Felde profilieren wollte, mußte es dort tun. Wie wir gelesen haben, war sein Weg mit vielen unmenschlichen Erlebnissen versehen, welche ihm "einen tiefen Stich ins Herz versetzten!" Auch dann, als er sein Ziel - zweimal sogar - erreicht hatte, war ihm das Glück nicht hold. Er fand dort keine Anschlußmöglichkeit, obwohl sein Talent ausgebildet war. Das Schicksal wollte für ihn keinen ruhmhaften Aufstieg, von dem er sicher geträumt hatte, sondern ein Verbleiben im Handwerk, eine Rückkehr nach Pfullendorf und dort eine bodenständige Entfaltung. Wäre ihm ein Gönner über den Weg gelaufen - wer weiß, was aus seinem Talent geworden wäre!
So erging, und so ergeht es auch heute noch vielen jungen Menschen Gewiß, die Förderungsmöglichkeiten sind heutzutage wesentlich besser als damals, aber die Probleme sehen heute anders aus. Die heutige "No-Future-Generation" fragt sich wozu alles eigentlich noch, bei dieser zerstörten Umwelt. Sanierte Altstädte und geschönte Fassaden würden heute noch einem Matthä Hofmann als Oberflächlichkeit erscheinen. Hier ist es angebracht, den jungen Menschen durch gutes Beispiel Hoffnung zu machen, einen dennoch menschenwürdigen Weg zu gehen.
Matthä Hofmann hat sich etliche Jahre nach seiner Wanderschaft die Mühe gemacht, die Erlebnisse während seiner Wanderschaft niederzuschreiben. Es stellt sich die Frage, zu welchem Zweck? Vielleicht für seine Kinder und Enkel zur Ermahnung, vielleicht aber auch für uns Heutige - ebenfalls zur Ermahnung! Nehmen wir doch dieses ernst und geben durch gutes Beispiel Anlaß zur Hoffnung für die Jugend, denn die Hoffnung liegt für uns in den uns nachfolgenden Generationen." Walter Rusch

© Südkurier, 1982


© Bernd Pohl, 18.02.2007